'John Wick: Kapitel 4' zeigt ein Fantasie-Berlin, das wir uns zurückwünschen (2024)

Plötzlich steckt ein Messer in seiner Hand, durchbohrt das Fleisch und dringt in den Tisch darunter ein. Dabei hat der Tracker “Nobody”, ein Auftragskiller wie alle in diesem Film, doch gerade nur darum gebeten, den meistgesuchten Mann des Planeten ermorden zu dürfen. Aber der Marquis ist ein fieser Antagonist. Einer, der mit jeder Regung seiner Mimik zeigen muss, wie diabolisch, sad*stisch und grausam er ist, und mit seinen Taten natürlich auch. Deswegen besagtes Messer. Der Tracker soll dem Marquis nun beweisen, wie hart er ist und zwar indem er sich entscheidet, das Messer entweder rauszuziehen oder seine Hand seitlich aus der Klinge. In quälender Langsamkeit sehen wir dann, wie hart der Tracker ist, und wie das Messer die Hand von der Mitte bis zu den Fingern aufschneidet. Er darf John Wick töten.

John Wick: Kapitel 4 ist geil. So stylisch war bislang keiner seiner Vorgänger, das Licht, die Schauplätze, die Choreografie. Die Action übertrifft die der Vorgänger ebenfalls und sogar der Plot ist, na ja, irgendwie wieder existent, oder so? Vor allem aber sehen wir hier eine Stadt, der im echten Leben langsam die Puste ausgeht, als habe John Wick ihr einen Lungenflügel durchschossen: Berlin. In John Wick 4 pulsiert, lebt, leuchtet es. Wie schön wäre es, wenn das echt wäre?

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Im Film geht es darum, dass der Auftragskiller John Wick (Keanu Reeves) seine Freiheit will. Die Hohe Kammer, eine Art Dachverband des organisierten Verbrechens, setzt ein Kopfgeld nach dem anderen auf ihn aus, er will aber einfach nur seine Ruhe haben. Nun erklärt ihm ein alter Weggefährte (Ian McShane), dass der einzige Weg diese Freiheit zu erlangen, ein Duell mit dem Vertreter der Hohen Kammer ist, den sie auf Wick angesetzt hat. Der Marquis (Bill Skarsgård).

Um aber ein Duell fordern zu können, muss John Wick selbst Teil einer Verbrechensorganisation sein. Ein Schritt auf dem Weg führt ihn deswegen nach Berlin. Dort bittet er seine alte Verbrechensfamilie, die Ruska Roma, also russische Roma, ihn wieder aufzunehmen. Die stimmt unter der Bedingung zu, dass John Wick im Gegenzug Killa, einen fiesen Gangster, umbringt. Und so prügelt sich John Wick durch ein Berlin, das so schön und grausam und aufregend ist, dass man sich fragt, warum wir das nicht in echt haben können.

Klar, in echt können wir das nicht haben, weil sich hier gerade – in echt – eine große Koalition dranmacht, alles zu zerstören, was Berlin irgendwie besonders gemacht haben wird. Und so wird John Wick 4 auch zum politischen Statement gegen den kulturellen Raubbau des designierten Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner und seiner willigen Vollstreckungsgehilfin Franziska Giffey.

Im Film aber wird Berlin zu einer Mischung aus gruftigem Neon-Alptraum und hedonistischem Schlaraffenland. Die Ruska Roma hausen im Bode-Museum, das man über Berlin hinaus kennt, weil hier vor einigen Jahren eine riesige Goldmünze gestohlen wurde. John Wick geht nachts über die Monbijoubrücke, von buntem Licht spärlich beleuchtet. Gruselig und zwielichtig, hier grassiert das Verbrechen, hier herrscht die Gewalt, Regeln gelten nur, wenn das Verbrechersyndikat sie aufgestellt hat.

'John Wick: Kapitel 4' zeigt ein Fantasie-Berlin, das wir uns zurückwünschen (1)

Einer der touristischsten Orte Berlins, gentrifizierter als Kreuzberg, wird umgedeutet zum Umschlagplatz der Zweideutigkeit, des Ungewissen und Verwegenen. Zu dem also, was Menschen mit Berlin assoziieren, die noch nie dort waren oder zuletzt um die Jahrtausendwende. Irgendwie verheißungsvoll und doch gefährlich. Ein implizites Versprechen, dass man in dieser Stadt Abenteuer erleben muss – also der Grund, warum alljährlich Tausende junge Studierende nach Berlin ziehen, um Speed zu ziehen und richtig zu ficken, denn, das ist klar, wo die Straßen Abenteuer ausdünsten, da wird gefickt.

So auch in dem Club, den der Film uns präsentiert: Himmel und Hölle. Die Alte Nationalgalerie beherbergt Killas Etablissem*nt. Wieder ein touristischer Hotspot, Angela Merkel wohnt um die Ecke, der Hackesche Markt, Pergamonmuseum, Stadtschloss, zentraler geht es kaum, weswegen es sich eigentlich auch nur Bundeskanzlerinnen a.D. leisten können, hier zu wohnen.

Das Prinzip ist also ähnlich wie beim Hauptquartier der Roma Russka beziehungsweise dem Bode-Museum. Eine touristische Attraktion wird umgedeutet. Hier allerdings nicht zur Zentrale der Verbrecherfamilie, sondern zum Tempel des Hedonismus. Also klar, auch hinter dem steckt der fiese Killa mit seinen Goldzähnen, dem bunten Anzug und dem Willen zum Mord. Aber davon spüren die Menschen, die hier ausgelassen und in wilden Outfits tanzen, erst mal wenig.

Von innen sehen wir dann nicht mehr das Museum, sondern den Kraftwerk-Club. Wäre ja auch Quatsch, das Museum ist kein Club, auch wenn manche dort ausgestellten Bilder so wirken könnten, als würden sie eine Partyszene darstellen. Etwa das Gemälde Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen) von Adolph Menzel, auf dem zahlreiche Arbeiter in der Fabrik einen Ofen bedienen, weitgehend ohne Schutzkleidung oder auf andere Weise vor der Grausamkeit der frühen Industrialisierung und ihres einsetzenden, alles verschlingenden Kapitalismus, geschützt.

'John Wick: Kapitel 4' zeigt ein Fantasie-Berlin, das wir uns zurückwünschen (2)

Und wie die Arbeiter im Halbdunkel der von flüssigem Stahl erleuchteten Fabrik, tanzen die Menschen in dem Club. Wir beobachten sie dabei auf mehreren Stockwerken, die alle über eine Art Innenhof einsehbar sind und so den Eindruck einer gigantischen Tanzfabrik erwecken. Auch dieses Bild ist nicht ganz fern der Realität, immerhin sind Berliner Clubs in den Augen derer, die nicht nur ihretwegen in Berlin sind, ja oft nicht mehr als Orte der Massenabfertigung, in denen halbbetäubte Menschen die Sorgen des spätkapitalistischen Daseins wegballern. Als John Wick darin einen Menschen nach dem anderen verprügelt und tötet, bekommen die anderen das kaum mit und wenn, dann bleibt das Tanzen ihre Priorität.

In John Wick 4 wirkt der Ort dennoch aufregender, mystischer, besser. Das Set des Kraftwerks ergänzt den kalten Industrierest nämlich mit Wasserfällen, in denen auch der Kampf zwischen Wick und Killa stattfindet und der zusammen mit der unwirklichen Beleuchtung wirkt, als könne die Stadt im Himmel und Hölle wirklich davongespült werden, auf Nimmerwiedersehen, wobei man, wenn man im echten Leben das Gebäude verlässt, doch nur auf einer trostlosen Hauptstraße landet.

Zuletzt nimmt sich John Wick 4 ein weiteres Wahrzeichen der Stadt und deutet es zu einem ungleich sympathischeren um. So spielt Sven Marquardt eine kleine Nebenrolle namens Klaus. Einer der bedrohlichen Handlanger der Roma Russka. Im echten Leben ist er Türsteher des Berghains, dieses Berliner Clubs also, an den man zuerst denkt, wenn man an Berliner Clubs denkt, weil er vor vielen Jahren mal in irgendeinem Ranking gewonnen hat. Marquardt ist eine Ikone, eine Legende. Durch sein raubeiniges Auftreten, die vielen Tattoos, die langen weißen Haare, die Sonnenbrille und die strenge Türpolitik des Berghains. Außerdem macht er Kunst und fühlt sich mit seinem Legendenstatus sehr offensichtlich sehr wohl, was nicht zu seiner Authentizität als echtes Raubein beiträgt, aber Berlin selbst ist mittlerweile eben keine raubeinige Stadt mehr, sondern die einer Franziska Giffey.

Marquardt spricht im Film kaum und wenn, dann immer denselben Satz: “Ich bin Klaus.” Das klingt erst einmal sehr selbstbezogen und eitel. Tatsächlich aber wünscht man sich doch, dass Berlin vor vielen Jahren einmal das gleiche getan hätte. Dass es für sich erkannt hätte, was es ist, und das bewahrt hätte. Immerhin war Berlin immer eine Stadt der Inidividualisten, der Aussteiger und Narzissten. Mittlerweile ist Berlin eine Stadt, die sich der Wirtschaft und dem Auto andient und man kann sich nur wünschen, dass es wieder ein bisschen raubeiniger würde, damit die John Wicks dieser Welt darin wieder gerne rumballern möchten.

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